Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

In Artikel 29 garantiert die UN-Be­hin­der­ten­rechts­kon­ven­tion behinderten Menschen die politischen Rechte und die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. Gleichzeitig beschreibt die Konvention die Pflicht der Vertragsstaaten sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können. Diese Regelung in Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention bezieht sich auf Artikel 25 des UN-Zivilpakts und Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Konkretisierend legt Artikel 29 bezüglich des aktiven Wahlrechts fest, dass Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und Wahlmaterialien geeignet, zugänglich sowie leicht zu verstehen und zu handhaben sein müssen. Bei der Stimmabgabe sollen die Vertragsstaaten erlauben, dass sich Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall auf ihren Wunsch bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer eigenen Wahl unterstützen lassen.

Das passive Wahlrecht soll gegebenenfalls durch die Erleichterung der Nutzung unterstützender und neuer Technologien für die Wahrnehmung eines Amtes geschützt sein.

Die Vertragsstaaten sollen sich, so verpflichtet sie Artikel 29 Buchstabe b der UN-Behindertenrechtskonvention, aktiv für ein Umfeld einsetzen, in dem Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten mitwirken können, und sie sollen die Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen an öffentlichen Angelegenheiten begünstigen.

Zu der Mitwirkung zählt Artikel 29 Buchstabe b der Konvention auch die Beteiligung in Nichtregierungsorganisationen und in Parteien sowie die Bildung von und den Beitritt zu Organisationen von Menschen mit Behinderungen.

Artikel 29 – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben
Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten sich,

  1. sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden; unter anderem
    1. stellen sie sicher, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind;
    2. schützen sie das Recht von Menschen mit Behinderungen, bei Wahlen und Volksabstimmungen in geheimer Abstimmung ohne Einschüchterung ihre Stimme abzugeben, bei Wahlen zu kandidieren, ein Amt wirksam innezuhaben und alle öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit wahrzunehmen, indem sie gegebenenfalls die Nutzung unterstützender und neuer Technologien erleichtern;
    3. garantieren sie die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler und Wählerinnen und erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen;
  2. aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können, und ihre Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen, unter anderem
    1. die Mitarbeit in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, die sich mit dem öffentlichen und politischen Leben ihres Landes befassen, und an den Tätigkeiten und der Verwaltung politischer Parteien;
    2. die Bildung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene vertreten, und den Beitritt zu solchen Organisationen.

In Deutschland steht nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl auch behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen zu (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG). Für Europawahlen ist dieser Grundsatz in § 1 Abs. 1 des Europawahlgesetzes verbürgt. Das Wahlrecht des Bundes und der Länder stellt für Wahlen auf den verschiedenen Ebenen sicher, dass das Wahlverfahren und der Wahlhergang frei von Benachteiligungen für behinderte Menschen sind.

Vom Wahlrecht ausgeschlossen und damit auch nicht wählbar ist allerdings derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist oder der sich aufgrund einer gerichtlich verfügten Maßnahme der Besserung und Sicherung aufgrund einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen rechtswidrigen Tat in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet (vgl. § 13 Nr. 2 und 3 i. V. m. § 15 Abs. 2 Nr. 1 Bundeswahlgesetz, § 6a Abs. 1 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 2 i. V. m. § 6b Abs. 3 Nr. 1 Europawahlgesetz und die entsprechenden Regelungen in den Landeswahl- und Kommunalwahlgesetzen). An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wurde auch nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention festgehalten, weil das Wahlrecht als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbstständig handlungsfähig und entscheidungsfähig sind.

Dies wird allgemein auch als im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a der Behindertenrechtskonvention stehend angesehen, weil diese Konventionsbestimmung nur die in Artikel 25 des UN-Zivilpakts schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für das in Artikel 25 Buchstabe b des UN-Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Ausschluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv und angemessen sind. Das wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von Straftat und Strafmaß angenommen.

Die in Artikel 29 Buchstabe b der UN-Behindertenrechtskonvention enthaltenen Vorgaben für behinderte Menschen sind in Deutschland erfüllt:

Nach Artikel 9 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. In Ergänzung dazu garantiert § 1 Abs. 1 VereinsG Ausländern die Vereinsfreiheit, die grundrechtlich durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Diese Vorschriften erfassen auch die behinderten Menschen. Artikel 9 Abs. 1 GG gilt für diejenigen behinderten Menschen, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind.

§ 1 Abs. 1 VereinsG erfasst auch ausländische behinderte Menschen und deren Organisationen. Diese Vorschriften gewährleisten sowohl die positive wie auch die negative Vereinsfreiheit.

Die positive Vereinsfreiheit umfasst als persönliches Recht des einzelnen behinderten Menschen die Freiheit, Vereine zu gründen. Darin eingeschlossen ist das Recht, einem Verein beizutreten und in ihm als Mitglied zu verbleiben. Ferner enthält die positive Vereinsfreiheit das Recht des behinderten Menschen, der einen Verein gegründet hat oder einer solchen Organisation beigetreten ist, sich im Rahmen des Vereinszwecks zu betätigen.

Den Vereinen behinderter Menschen garantiert die positive Vereinsfreiheit das Recht auf Entstehung und Bestehen; sie sind vor Eingriffen in den Kernbereich ihres Bestandes geschützt.

Innerhalb der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsformen werden die Selbstbestimmung des Vereins über die eigene Organisation, das Verfahren der vereinsinternen Willensbildung und die Geschäftsführung geschützt. Der Verein ist insbesondere befugt, sich ohne staatliche Kontrolle eine Satzung zu geben und zu ändern. Ferner werden die Rechte des Vereins auf Erhalt seines Mitgliederbestandes und auf Mitgliederwerbung sowie das Recht, einen frei gewählten Namen zu führen, garantiert. Dieser darf auch seinem Zweck entsprechend nach außen tätig werden. Ferner ist das Recht des Vereins geschützt, sich selbst wieder aufzulösen.

Die negative Vereinsfreiheit gewährleistet auch das Recht behinderter Menschen, keine Vereinigung zu gründen, bestehenden Vereinigungen fernzubleiben und aus ihnen auszutreten. Den Vereinigungen behinderter Menschen wird das Recht der Selbstauflösung garantiert. Mit dem Schutz der negativen Vereinsfreiheit geht die deutsche Rechtsordnung über Artikel 29 Buchstabe b der UN-Behindertenrechtskonvention hinaus, der lediglich positive Gesichtspunkte der Vereinsfreiheit erfasst.

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